Thilo Reimers Rechtsanwalt, Dipl. Volkswirt, Würzburg
späte Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft und Kündigungsschutz
LAG Düsseldorf – 5 Sa 672/11
Entscheidung vom 08.09.2011
Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft – Verwirkung
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 08.09.2011, 5 Sa 672/11
Leitsätze:
Der Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX ist nicht verwirkt, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer die unmissverständliche Mitteilung seiner Schwerbehinderteneigenschaft mit der Kündigungsschutzklage verbunden hat. Eine nur kurze Überschreitung der Regelfrist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung ist unschädlich.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.04.2011 – 7 Ca 762/11- wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
T A T B E S T A N D
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.
Der am 11.07.1957 geborene Kläger ist auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 10.12.2003 seit dem 01.01.2004 bei der Beklagten als Sachbearbeiter beschäftigt. Seine Bruttomonatsvergütung betrug zuletzt 2.270,00 €. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung.
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Der Kläger war in der Vergangenheit wie folgt arbeitsunfähig erkrankt:
Lohnfortzahlungskosten
2008
EUR 5.871,87
2009
EUR 4.585,40
2010
EUR 9.598,95
Unter dem 08.07.2010 führte die Beklagte mit dem Kläger ein Krankenrückkehrgespräch und erstellte hierüber ein auch vom Kläger unterzeichnetes Protokoll (Bl. 51 d.A.). Nachdem der Kläger auch danach noch mehr als 40 Arbeitstage arbeitsunfähig erkrankt war, kündigte die Beklagte das mit ihm bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.01.2011 fristgemäß zum 31.03.2011.
Mit seiner am 08.02.2011 beim Arbeitsgericht Düsseldorf anhängig gemachten Klage, die der Beklagten am 21.02.2011 zugestellt wurde, hat der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. In der Klageschrift heißt es hierzu auszugsweise wörtlich wie folgt:
“Der Kläger ist mit Bescheid des Landrates Rheinkreis Neuss vom
11. April 2002 als schwerbehindert anerkannt. Seit dem 5. Februar 2009
ist der Grad der Behinderung von 40 % festgestellt. Eine Zustimmung
des Integrationsamts gemäß § 85 SGB IX zur Kündigung ist nicht er-
folgt.”
Der Kläger hat vorgetragen, ihm sei zunächst ein Grad der Behinderung von 40 zuerkannt worden. Auf seinen weitergehenden Antrag vom 19.07.2010 hätte der Rhein-Kreis Neuss dann mit Bescheid vom 24.02.2011 einen Grad der Behinderung von 70 festgestellt, und zwar mit Wirkung ab der Antragstellung.
Der Kläger hat hierzu die Rechtsauffassung vertreten, dass ihm der Sonderkündigungsschutz nach dem Sozialgesetzbuch IX zustünde, da er die Beklagte rechtszeitig auf seine Behinderung hingewiesen hätte. Mangels Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX erweise sich seine Kündigung dann als nichtig.
Der Kläger hat weiter gemeint, dass auch keine negative Gesundheitsprognose vorläge. Im Dezember 2010 sei als Grund für seine häufigen Fehlzeiten eine Schlafstörung diagnostiziert worden. Infolge der danach verordneten Therapie hätte sich die “exzessive Tagesschläfrigkeit” des Klägers schon vollständig zurückgebildet.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
am 28.01.2011 zugegangene Kündigung nicht aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat gemeint, dass der Kläger seine Schwerbehinderung nicht rechtzeitig bekanntgegeben hätte. Aus der Klageschrift ergebe sich darüber hinaus nicht mit hinreichender Sicherheit, dass er sich auf den Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX berufen wollte; dieser greife bei einem Grad der Behinderung von 40 gerade noch nicht.
Mit Urteil vom 19.04.2011 hat die 7. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf – 7 Ca 762/11 – dem Klagebegehren entsprochen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger könne sich auf den Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX berufen, weil er die Beklagte mit der kurz nach Ablauf der 3-Wochenfrist des § 4 KSchG eingegangenen Klageschrift noch rechtzeitig informiert hätte. Das Arbeitsgericht hat weiter ausgeführt, der Kläger hätte auch hinreichend deutlich gemacht, dass er sich auf den Schutz des Sozialgesetzbuches IX berufen wollte. Zwar sei seine Aussage in der Klageschrift missverständlich, erfülle aber gleichwohl ihren Zweck, die Beklagte auf die Notwendigkeit hinzuweisen, das Integrationsamt einzuschalten.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 09.05.2011 zugestellte Urteil mit einem am 17.05.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 01.08.2011 – mit einem am 27.07.2011 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie wiederholt ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und unterstreicht ihre Rechtsauffassung, dass der Kläger sich vorliegend weder unmittelbar noch durch seine Klageschrift auf eine festgestellte oder auf eine beantragte Schwerbehinderteneigenschaft berufen hätte. Der Kläger habe mit seiner Klage vielmehr nur eine festgestellte Schwerbehinderteneigenschaft von 40 angezeigt und damit gerade nicht dem Gesetzeszweck Genüge getan. Die Beklagte hätte auch nach Zugang der Kündigungsschutzklage eben keine Kenntnis von einem Sonderkündigungsschutz gehabt, sodass sie sich gegenüber dem Kläger auf eine Verwirkung gemäß § 242 BGB berufen könnte.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf
Az.: 7 Ca 762/11 vom 19.04.2011 die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls seinen Sachvortrag aus der ersten Instanz.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
In der Sache selbst hatte das Rechtsmittel indessen keinen Erfolg.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 28.01.2011 nicht zum 31.03.2011 beendet worden, weil die Kündigung wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX i.V.m § 134 BGB nichtig ist.
1.Bereits das Arbeitsgericht hat in seiner erstinstanzlichen Entscheidung mit zutreffenden Erwägungen und umfänglicher Begründung festgestellt, dass der Kläger die Beklagte mit der Klageschrift rechtzeitig und hinreichend deutlich auf das Vorliegen seiner Schwerbehinderung und damit auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, das Integrationsamt einzuschalten. Diesen Erwägungen schließt sich die erkennende Berufungskammer im vollen Umfang an und verzichtet zur Vermeidung von Wiederholungen auf einer erneute Darstellung der Entscheidungsgründe, § 69 Abs. 2 ArbGG.
2.Lediglich zur Ergänzung und bei gleichzeitiger Würdigung des Sachvortrags der Beklagten im Berufungsrechtszug soll noch auf Folgendes hingewiesen werden:
2.1Dem Kläger stand im Kündigungszeitpunkt der Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX zu.
2.1.1Nach dieser Norm bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Allerdings findet das Zustimmungserfordernis nach § 90 Abs. 2 a SGB IX dann keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes setzt damit grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderung bereits anerkannt ist oder die Stellung des Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung mindestens drei Wochen zurückliegt (BAG 09.06.2011 – 2 AZR 703/09 - zitiert nach juris; BAG 29.11.2007 – 2 AZR 613/06 – AP Nr. 5 zu § 90 SGB IX).
2.1.2Der Kläger hat im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass er bereits am 19.07.2010 einen Antrag auf Erhöhung des ihm zuerkannten Behindertengrades von 40 gestellt hätte. Dieser Antrag, der am 24.02.2011 positiv beschieden worden ist, war demgemäß länger als drei Wochen vor Zugang der Kündigung bei der zuständigen Behörde eingegangen. Hieraus folgt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung von einem Grad der Behinderung von 70 und damit von einer Schwerbehinderung im Sinne des § 85 SGB IX auszugehen ist.
2.2Die Mitteilung über das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. über die Stellung des Antrags vom 19.07.2010 ist – entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten – auch rechtzeitig erfolgt.
2.2.1Hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten, so steht ihm der Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX nach dem Wortlaut des Gesetzes auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung nichts wusste. Allerdings unterliegt das Recht des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, der Verwirkung nach § 242 BGB. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Mit der Verwirkung wird ausgeschlossen, Rechte illoyal verspätet geltend zu machen. Sie dient dem Vertrauenssschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger sich längere Zeit nicht auf seine Rechte berufen hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr wahrnehmen wolle, sodass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist. Nach den vom BAG hierzu aufgestellten Grundsätzen muss sich der Arbeitnehmer, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX erhalten will, nach Zugang der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die drei Wochen beträgt, gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft berufen. Unterlässt der Arbeitnehmer die entsprechende Mitteilung, so hat er den besonderen Kündigungsschutz verwirkt. Die 3-Wochenfrist ist dabei eine Regelfrist. Sie konkretisiert den Verwirkungstatbestand, sodass ihre Überschreitung regelmäßig, aber nicht zwingend zur Verwirkung führt. Illoyal verspätet im Sinne des Verwirkungstatbestands ist eine Berufung auf die Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber dem Arbeitgeber nach allem jedenfalls dann nicht, wenn sie zugleich mit der Zustellung der fristgerecht erhobenen Klage erfolgt (BAG 23.02.2010 – 2 AZR 659/08 – AP Nr. 8 zu § 85 SGB IX; vgl. auch: BAG 09.06.2011, a.a.O.).
2.2.2Hiernach kann die Mitteilung über die Schwerbehinderteneigenschaft, die der Beklagten am 21.02.2011 zugegangen ist, nicht als verwirkt angesehen werden.
Es ist zwar richtig, dass die 3-Wochenfrist des § 4 KSchG wenige Tage vorher abgelaufen war, sodass man nicht mehr von der Einhaltung der vom Bundesarbeitsgericht so bezeichneten Regelfrist sprechen kann. Indessen ist die Mitteilung gemeinsam mit der Zustellung der Kündigungsschutzklage erfolgt, sodass jedenfalls das Umstandsmoment nicht erfüllt sein dürfte. Angesichts der Tatsache, dass der Beklagten mit der Zustellung der Klageschrift gleichzeitig die Mitteilung über die behauptete Schwerbehinderteneigenschaft zuging, konnte sie sich nicht darauf verlassen, das Integrationsamt nicht einschalten zu müssen. Sie hatte zeitnah zum Ausspruch der streitbefangenen Kündigung von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers erfahren und wusste damit positiv, dass sie Maßnahmen einleiten musste, um den Besonderheiten des Sonderkündigungsschutzverfahrens nach § 85 SGB IX zu genügen. Dies war ihr angesichts der nur kurzfristigen Überschreitung der Regelfrist auch zuzumuten.
2.3In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts und entgegen der Meinung der Beklagten geht auch das Landesarbeitsgericht davon aus, dass der Kläger der Beklagten seine Schwerbehinderung bzw. das eingeleitete Antragsverfahren auch hinreichend deutlich mitgeteilt hat.
2.3.1Der Beklagten ist allerdings zuzugeben, dass die Erklärungen, die der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierzu in der Klageschrift abgegeben hat, nicht ganz eindeutig sind.
Durch den Hinweis, dass der Kläger einen Grad der Behinderung von 40 für sich in Anspruch nehmen könne und durch den gleichzeitig erfolgten Hinweis, dass eine Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB IX nicht erfolgt sei, konnte der Eindruck entstehen, dass der Kläger sich über die Bedeutung und die Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX geirrt hatte. Aus dem Schreiben lässt sich nämlich auch die Annahme des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten ableiten, dass schon bei einem Grad der Behinderung, der unter 50 liegt, die Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX einzuholen ist. Bei dieser Betrachtungsweise, die gerade nicht der objektiven Rechtslage entspricht, hätte es dann in der Tat einer Einschaltung der Behörde nicht bedurft.
Durch die Formulierung in der Klageschrift konnte die Beklagte aber auch den Eindruck gewinnen, dass der Kläger sich auf jeden Fall auf den Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX berufen wollte und dass es sich bei der Nennung des Grades der Behinderung von 40 um einen Irrtum oder um eine unvollständige Angabe gehandelt hatte. Hierfür spricht, dass nachdrücklich die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes in den Raum gestellt wird.
2.3.2Letztlich bedurfte es keiner abschließenden Entscheidung, welchen Erklärungswert die Mitteilung in der Klageschrift tatsächlich gehabt hat. Entscheidend ist nämlich, dass der Beklagten nach Zugang der Klageschrift klar sein musste, dass sich der Kläger – mit welcher Begründung auch immer – auf den Kündigungsschutz nach § 85 SGB IX berufen wollte.
Der Beklagten war vor allen Dingen aus dem Rückkehrgespräch vom 08.07.2010 bekannt, dass der Kläger erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten aufwies und ihr war bekannt, auf welche, vom Kläger selbst genannte Leiden diese Arbeitsunfähigkeitszeiten zurückzuführen waren. Sie musste bei der Vorbereitung und beim Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung deshalb auch in Erwägung ziehen, dass der Kläger möglicherweise bereits als Schwerbehinderter anerkannt war oder doch einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Dies umso mehr, als ihr bei Zugang der Kündigung auch die Zuerkennung eines Grads der Behinderung von 40 nicht bekannt war und sie deshalb angesichts der Formulierung in der Klageschrift gerade nicht unterstellen konnte, dass ein
“Verschlimmerungsantrag” nicht gestellt worden war. Im Gegenteil: Die ausdrückliche Berufung auf die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes machte für die Beklagte deutlich, dass offensichtlich doch eine Schwerbehinderung vorlag, die das Zustimmungserfordernis des § 85 SGB IX begründete. Jedenfalls konnte die Beklagte angesichts der Klageschrift hinreichend deutlich erkennen, dass sie offensichtlich gehalten war, zur Vorbereitung einer neuen Kündigung das Integrationsamt einzuschalten. Die Beklagte musste auch erkennen, dass sie sich zur Sicherheit entsprechende Erkenntnisse, etwa durch die Einholung einer Auskunft beim Integrationsamt, verschaffen konnte, um dann zeitnah erneut tätig zu werden. Die Klageschrift war nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer jedenfalls nicht so gestaltet, dass ein vernünftig denkender Arbeitgeber das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes vollständig ausschließen konnte. Dann aber war es der Beklagten auch verwehrt, sich “sicher” zu fühlen und es war ihr zuzumuten, auf die zeitnah bekannt gewordene Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers neu zu reagieren.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die erkennende Kammer hat die Revision für beide Parteien zugelassen, weil sie das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bejaht hat, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.
Göttling Behrend Zeise