Thilo Reimers Rechtsanwalt, Dipl. Volkswirt, Würzburg
Arbeitslosengeld, Minijob und Gerichte
Die Klägerin hat einen echten Verhandlungsmarathon hinter sich. Letztendlich glückte alles; das Berufungsgericht, nämlich das Landessozialgericht Schweinfurt gab ihr in allen Punkten recht.
Dabei ging es um Folgendes:
Die Klägerin arbeitete in einer Diskothek als Bedienung. Gleichzeitig bezog sie Leistungen vom Arbeitsamt. Die Tätigkeit in der Diskothek war dort angezeigt. Wie es im Leben so spielt: Plötzlich war der Zoll mit 15 Mann da, durchsuchte die Diskothek und die Privaträume der Inhaber. Der Zoll war auf der Suche nach Schwarzgeldzahlungen und tatsächlich stellte sich heraus, dass von den insgesamt etwa 60 Mitarbeitern möglicherweise 8 Schwarzgeldzahlungen erhalten hatten. Weil bei ordentlichen Kaufleuten auch Schwarzgeldzahlungen eine Buchführung erfordern, war hierüber sauber Buch geführt worden. Nun gut, irgendjemand hat den Sinn und Zweck von Schwarzgeld da nicht ganz verstanden. Womöglich auch nicht den Begriff der doppelten Buchführung...
Folge des Zollverfahrens waren verschiedene Strafverfahren. Es ist klar, das die namentlich in den Schwarzgeldlisten enthaltenen Mitarbeiter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden. Relativ wahllos fischte der Zoll aber auch noch weitere Mitarbeiter heraus, was vorwiegend in Strafbefehlen endete. So kam die junge und in juristischen Dingen völlig unbeleckte Mandantin zu mir. Nach Einspruch gegen den Strafbefehl rief mich der Staatsanwalt an und versuchte noch eine Einstellung gegen eine geringe Geldstrafe zu verhandeln. Hierauf ließ ich mich aber nicht ein. Das Verfahren wurde dann ohne weiteres eingestellt. Dies ist ein de facto Freispruch, ohne das ein Verfahren stattfindet.
Gleichzeitig hatte das Arbeitsamt vor dem Sozialgericht geklagt. Hätte meine Mandantin nämlich Schwarzgeld erhalten, so wären Leistungen durch das Arbeitsamt zu Unrecht ausgezahlt worden. Diese wurden in insgesamt fünf Rückforderungsbescheiden ( diese wurden immer wieder abgeändert ) zurückgefordert. Auch der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos, so dass es zum Termin am Sozialgericht kam.
In einer ersten Verhandlung hatte ein Richter noch einen Vergleich vorgeschlagen, nachdem 3/4 der Forderung der ARGE niedergeschlagen worden wären und die Klägerin 1/4 übernommen hätte. Auch diesen Vergleich - den ich an sich hinnehmbar fand - konnte ich nicht wirklich gutheißen; damals existierte noch das Strafverfahren und dies hätte mit Sicherheit eine gewisse Indizwirkung für das Strafverfahren gehabt.
Dann kam es zum Richterwechsel.
Die folgende Verhandlung war mindestens einmal tendenziös. Die vorsitzende Richterin vernahm nur Zeugen, die verurteilt worden waren. Andere Mitarbeiter wurden als Zeugen nicht geladen. Die Zeugen wurden so befragt, dass völlig klar war, welches Ergebnis das Gericht wollte. Objektivität: Fehlanzeige. Demgemäß wurde die Klägerin erstinstanzlich verurteilt.
Die Urteilsbegründung war bzw. ist erstaunlich.
Unter anderem heißt es im Urteil auf Seite 13: "Ferner sind keine Zeugen vorhanden, die nachweislich bei der Diskothek Halifax gearbeitet haben und kein Schwarzgeld bezogen haben". Wenn ich natürlich nur die verurteilten Schwarzgeldbezieher als Zeugen vernehme und keinen anderen Zeugen zulasse, dann ist im Verfahren tatsächlich kein solcher Zeuge vorhanden. Ansonsten beschuldigt das Gericht hier einfach mal so Mitarbeiter der Diskothek, die regulär gearbeitet haben. Weiter heißt es in der Entscheidung auf Seite 12: "Auch wenn ... keine Nachweise für den Umfang der geleisteten Schwarzarbeit vorliegen, ist von der Richtigkeit der Berechnung des Zolls auszugehen, da die Berechnung in einzelnen Strafverfahren bestätigt worden sind".
Mithin muss sich das Gericht nicht die Mühe machen, selber nachzurechnen; dann hätte es nämlich festgestellt, dass einfach nur "ins Blaue hinein" geschätzt worden war. Nach Meinung des Gerichts genügt die Entscheidung eines anderen Gerichts, weil die Entscheidung des anderen Gerichts richtig sei. Denn Entscheidungen von Gerichten, insbesondere Strafgerichten, sind wohl grundsätzlich richtig. Eigentlich sagt einem der normale Menschenverstand, dass es auch falsche Gerichtsentscheidungen gibt. Auch die Tatsache, dass eine Falschabrechnung durch den Arbeitgeber ein Problem des Arbeitgebers und nicht des Arbeitnehmers, hier der Klägerin ist, wurde schlicht verkannt.
Ganz allgemein scheint mir von großer Bedeutung, dass hinsichtlich der Beweislast, das Landesarbeitsgericht Schweinfurt endlich klargestellt hat, dass das Arbeitsamt auch eine gewisse Nachweispflicht für seine eigenen Behauptungen trifft - der nicht nachgekommen wurde.
Schlussendlich hat das Berufungsgericht das so wie die Klägerin und ich gesehen und dem Ganzen ein Ende bereitet. Nach den Erklärungen des Gerichts nahm die ARGE die Bescheide zurück und erklärte, dass die Kosten des Verfahrens übernommen würden. Erstaunlich fand ich, dass die die ARGE vertretende Sachbearbeiterin (am Sozialgericht, als auch am Landessozialgericht) noch ganz zum Ende hin erklärte: "Aber wir haben doch gar nichts falsch gemacht. Warum müssen wir die Kosten des Verfahrens übernehmen" ?. Erstaunlich, weil selbst aus Sichtweise des Arbeitsamts
- vier falsche Bescheide erlassen
- Schätzungen ohne jeden Anhaltspunkt, einfach aus dem "Blauen" heraus gemacht wurden
- Die Grundlagen der Schätzung (besser Behauptungen) nie erklärt (wie auch) wurden
Beschluss Sozialgericht Bayreuth, AZ: S 9 AS 1220/08 Beschluss Bayerisches Landessozialgericht Schweinfurt, AZ: L 11 1000/11
Rechtsanwalt Reimers