Thilo Reimers Rechtsanwalt, Dipl. Volkswirt, Würzburg
Freie Mitarbeit und Scheinselbstständigkeit
Nachdem der Chef der CSU-Fraktion Müchen, Georg Schmid offenbar seine Frau als Scheinselbständige angestellt hat (und inzwischen sogar strafrechtlich verurteilt wurde), gewinnt dieses Thema, nämlich wer ist freier Mitarbeiter und wer ist tatsächlich nicht selbständig (sog. Scheinselbständigkeit) an ungewohnter Brisanz. Wann ist nun jemand scheinselbständig?
Arbeitsgerichte und Krankenkassen müssen nicht identisch entscheiden. Die Indizien anhand derer sie aber auf Scheinselbständikeit schließen sind die gleichen; als da wären:
- Ist der Mitarbeiter in den Betrieb eingebunden (gibt es einen festen Arbeitsplan, kann er sich die Zeit frei einteilen?).
- Der Mitarbeiter stellt keine Rechnungen?
- Der Mitarbeiter ist in seiner Urlaubsplanung nicht frei?
- Der Mitarbeiter arbeitet lediglich für einen, zwei oder drei Arbeitgeber?
- Die Tätigkeit findet ausschließlich in den Räumen des Auftraggebers/Arbeitgebers statt?
- Gibt es dort Angestellte, deren Tätigkeit mit der Tätigkeit des freien Mitarbeiters übereinstimmt?
Sollten alle Fragen mit ja beantwortet werden, werden sowohl Arbeitsgerichte als auch Krankenkassen von Scheinselbständigkeit ausgehen. Echte Unternehmereigenschaft - und dies ist die Voraussetzung für freie Mitarbeit - sieht einfach anders aus. Bei Frau Schmid stellt sich die Frage möglicherweise anders, weil sie wohl keine Tätigkeit entfaltet hat. Was sind nun die Folgen einer so falsch deklarierten „freie Mitarbeit“? Der Arbeitgeber muss alle Sozialversicherungsbeiträge nachentrichten. Und zwar Arbeitgeber- UND Arbeitnehmeranteil. In einer älteren von mir erstrittenen Entscheidung am Landesarbeitsgericht Nürnberg (Entscheidung vom 21.12.98, AZ: 5 TA 211/98) wurde - noch unter anderen gesetzlichen Voraussetzungen - darauf abgehoben, ob ein fester Tagesplan, Mindestarbeitszeiten, die Notwendigkeit Urlaub zu beantragen, vorlägen. Das war damals der Fall. Das sprach alles für die Arbeitnehmereigenschaft. All das würde heute noch ganz genauso gelten. Entscheidend - und auch das ist heute noch maßgebend - sei die tatsächliche Durchführung des Vertrages und nicht das was auf dem Papier steht. Die anders lautende Entscheidung des Arbeitgerichts Schweinfurt wurde damit aufgehoben.
Dieser Auffassung hat sich aktuell am 18.09.14 auch das Arbeitsgericht Würzburg, hier eingegangen am 04.08.15 angeschlossen (AZ: 8 Ca 2012/12). Dort heißt es unter anderem:
Die Bezeichnung als "freier Mitarbeitervertrag der Vereinbarung der Parteien" ist nicht maßgeblich. Entscheidend ist die tatsächliche Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses. Der schriftliche Vertrag der Parteien spricht bereits an zahlreichen Stellen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
... Dass die Klägerin nach außen als Freiberuflerin aufgetreten ist und sich selbst so gesehen haben mag, da sie einen Gründungszuschuss erhalten und eine eigene Homepage betrieben hat, ist für die Frage der tatsächlichen persönlichen Abhängigkeit im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Beklagte ohne Belang.
... Auch war die Klägerin persönlich zur Leistung verpflichtet und konnte diese nicht ohne vorherige Zustimmung der Beklagten ganz oder teilweise auf Dritte übertragen.
Die Klägerin war weiter gehalten von der Beklagten zur Verfügung gestellte Arbeitskleidung mit einem vorgegebenen Design zu benutzen.
... Die Klägerin war gehalten in den von der Beklagten zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zu arbeiten. Dass die Klägerin Hausbesuche bei Kunden und Patienten ausgeführt hat, vermag nicht den zumindest vorgesehenen Schwerpunkt des Ortes der Tätigkeit der Klägerin ausreichend zu beeinflussen.
Dem gegenüber treten die von der Beklagten angeführten Aspekte für eine freie, d. h. selbständige Tätigkeit zurück: Es mag sein, dass die Klägerin für mehrere Auftraggeber tätig gewesen ist. Ohne Rücksprache mit der Beklagten durfte sie das jedoch nicht tun. Die Klägerin mag auch teilweise mit eigenen Betriebsmitteln gearbeitet haben, ohne das dies eine selbständige Tätigkeit begründen oder untermauern könnte. Auch in Arbeitsverhältnissen ist es durchaus nicht selten, dass beispielsweise angestellte Handwerker eigenes Werkzeug benutzen.
Das Arbeitsgericht ist deshalb mit der Deutschen Rentenversicherung der Auffassung, dass angesichts der ersichtlichen Tatsachen und Kriterien die Merkmale für eine Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit von der Beklagten in einem höheren Maße erfüllt sind als die Merkmale für eine selbständige Tätigkeit.
Auch das Sozialgericht Würzburg (AZ: S 8 R 326/14) hat sich diesen Gründen angeschlossen. Die schriftliche Begründung des Urteils steht noch aus. In der mündlichen Verhandlung wurden aber die oben genannten Ausführungen bestätigt. Auch nach Beendigung dieses Verfahrens steht nunmehr fest, dass die angeblich freie Mitarbeiterin tatsächlich Arbeitnehmerin war. Der Arbeitgeber muss die gesamten (AG+AN Anteil) Sozialversicherungsbeiträge für die Beschäftigungszeit nachentrichten. Eine Verjährung tritt in diesen Fällen nicht ein (Fälligkeit erst mit Rechnungserstellung).
Rechtsanwalt Reimers