Thilo Reimers Rechtsanwalt, Dipl. Volkswirt, Würzburg
Bekennende Musikliebhaber neigen zu Kriminalität
Die Kanzlei Rasch & Kollegen aus Hamburg erlitt eine empfindliche Niederlage vor dem Landgericht Stuttgart ( AZ: 17 O 39/11 ). Der Fall spiegelt wieder einmal den „ganzen Wahnsinn“ dieses juristischen Umfelds. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haussuchung bei den Beklagten veranlasst. Man muss sich vor Augen halten, dass wegen des angeblich illegalen Herunterladens von Songs tatsächlich eine Haussuchung stattfindet. Ergebnis war natürlich dann auch, dass der heimische PC mitgenommen wurde. Ich verweise insoweit auf meinen Beitrag unter http://www.reimers.de/faq/2012/02/02/post01.html An die Verhältnismäßigkeit der Mittel wurde insoweit seitens der Staatsanwaltschaft kein Gedanke verschwendet. Dass Haussuchungen wegen downloads seltener werden, ist nicht etwa einem gesundetem Rechtsempfinden der Staatsanwaltschaften zu verdanken. Allein die Anzahl der begangenen Rechtsverstöße hat die Staatsanwaltschaften insoweit zum Einlenken bewegt.
Wie üblich wurde zuerst die Pro Media GmbH beauftragt Downloader zu finden. Dort wurde am 18.09. 2006 von 19.54 Uhr bis 20.01 Uhr 56 Sekunden festgestellt, dass angeblich 253 Audiodateien unter der IP-Nummer 84.157.... mit filesharing-software runtergeladen wurde. Wie üblich wurde mittels Staatsanwaltschaft Köln die IP-Nummer zugeordnet; hier als die IP-Nummer der Beklagten.
Es wurde weiter festgestellt, dass zwei Kinder, der Vater ein Zimmermann und die Mutter eine Erzieherin vor Ort waren. Die Beklagten gaben ihren PC heraus, der von allen Familienmitgliedern genutzt wurde. Bei der Untersuchung des PC ergab die kriminalpolizeiliche Untersuchung, dass auf dem Rechner keine filesharing-software installiert war. Auch Audiodateien waren nicht zu finden.
Nach anwaltlicher Beratung gaben die Beklagten keine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Sie nahmen auch nicht das - übliche - Vergleichsangebot durch die Klägerin an. Nun ließ sich die Klägerin viel Zeit. Am 21.09.10 beantragte sie einen Mahnbescheid gegen den Widerspruch eingelegt wurde.
Die Beklagten seien bekennende Musikliebhaber und hätten deshalb ein Motiv gehabt - so die Klägerin. Die beklagten Eltern hätten ihre Kinder keineswegs so lückenlos überwacht, dass die Nutzung eines filesharingprogramms sicher ausgeschlossen werden könne. Insbesondere der Sohn der Beklagten hätte das notwendige know how gehabt.
Die Klägerin meinten, dass die Beklagten deshalb als Täter, hilfsweise als Störer haften würden. Sie errechneten den ihnen zustehenden Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie und machen für 10 Titel jeweils € 300,-- geltend. Dies sei der dreifache GEMA-Satz nach dem Tarif VRW1 Ziffer IV. Hinzu kamen die Anwaltskosten, insgesamt € 5380.
Die Beklagten brachten vor, dass sie die Audiodateien nicht heruntergeladen hätten. Sie würden ihre Kinder nur zu festen Zeiten die Nutzung des PC‘s erlauben, dies für altersgerechte PC-Spiele und Chatprogramme. Den Kindern habe auch das notwendige technische Wissen gefehlt. Auch der Sohn habe nie eine Tauschbörse genutzt. Der Internetanschluss sei ausreichend vor unberechtigten Zugriffen geschützt. Die Inbetriebnahme des Speedport W 700 sei entsprechend der Sicherheitsinstrucktionen des Lieferanten installiert. Bei der Sicherheitsstufe sei ein WPA 2 Verschlüsselungssystem genutzt worden.
Mit folgender Begründung lehnte das Landgericht Stuttgart die Klage der Klägerin vertreten durch die Prozessbevollmächtigten Rasch & Kollegen ab:
Die Auskunft der Telekom belege, dass die festgestellte IP-Adresse am 18.09.2006 den Beklagten zugeordnet war und zwar um 19.54.23 Uhr. Allerdings begann der streitgegenständliche Vorgang erst um 19.54.25 Uhr. Unter Berücksichtigung von Ermittlungsungenauigkeiten könnte dieser minimale Zeitunterschied bereits eine Rolle spielen. Es sei denkbar, dass ab 19.54.25 Uhr ( MESZ ) die IP-Adresse bereits einem anderen Nutzer zugeordnet war. Allerdings belastet die Beklagte zusätzlich, dass bei weiteren vier Ermittlungsvorgängen ebenfalls ihre IP-Nummer festgestellt wurde.
Die Beklagten sind ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen indem sie geltend gemacht haben, mit den Rechtsverletzungen nichts zu tun zu haben. Auf ihrem PC befinde sich kein filesharingprogramm und sie besäßen auch die angeblich zum download bereitgestellten Audiodateien nicht. Darüber hinaus hat der W-Lanrouter ausreichend gesichert.
Diese Behauptung der Beklagten werden durch die Feststellung der Kriminalpolizei gestützt. Tatsächlich überprüfte die Kripo den PC der Beklagten zu einem Zeitpunkt, als diese von dem Auftrag der Klägerin von dem im Auftrag der Klägerin durchgeführten Ermittlungen noch keine Kenntnis erlangt hatten. Anlässlich ihrer Vernehmung gestatten sie der Polizei bereitwillig die Überprüfung des PC ohne das diese fündig geworden ist. Die Klägerin schrieb die Beklagten erst am 17.07.2008, also etwa ein Jahr später an. Seitens der Beklagten hätte daher ein Jahr früher kein Anlass bestanden eine etwa verwendetes filesharingprogramm und die gespeicherten Audiodateien zu löschen.
Weiter heißt es in der landgerichtlichen Entscheidung:
Generell entstehen einer Partei erhebliche Beweisprobleme, wenn sie Umstände beweisen muss, zu dem die ihren Blicken entzogenen Bereich des Prozessgegners gehören. Gleichwohl verbietet sich eine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei, da generell keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner für den Prozesssieg benötigte Informationen zu verschaffen. Mehr als eine Modifizierung der Darlegungslast - wie sie der BGH für den Anschlussinhaber vorsieht - verbietet sich, da andernfalls der Grundrechtsschutz des Prozessgegeners über Gebühr beeinträchtigt wird ( Greger in Zöller ZPO 28. Auflage vor § 284, Rd. 17, 34 ).
Die Beklagten haben sich vorliegend nicht darauf beschränkt, die Rechtsverletzung zu bestreiten, sie haben vielmehr zu den Vorwürfen substantiiert Stellung genommen und außerdem - ohne dazu verpflichtet zu sein - eine überraschende Nachschau durch den Polizeibeamten ermöglicht. Dieses Verhalten spricht dafür, dass die Beklagten nichts zu verbergen hatten und durch ihr Verhalten gerade zur Aufklärung beitragen wollten, um sich zu entlasten und ihrerseits „zu beweisen“ dass die im Raum stehenden Vorwürfe unberechtigt sind...
Es verbleibt daher bei der Beweislast der Klägerin für die Behauptung, dass die Beklagten die streitgegenständliche Rechtsverletzung begangen habe. Der Beweis hierfür lässt sich weder durch eine Vernehmung der mit der Vermittlung seinerzeit befassten Zeugen und auch nicht durch ein Sachverständigengutachten zur Richtigkeit und zur Aussagekraft dieser Ermittlungsergebnisse erbringen, da durch diese Beweismittel nicht festgestellt werden kann, ob die Auskunft der Telekom vom 06.09.2006 zutreffend war. Solange nicht bewiesen ist, dass die fragliche IP-Adresse während des gesamten festgestellten downloadvorgangs den Beklagten zugeordnet war, der immerhin 7,5 Minuten dauerte, steht die Verantwortlichkeit der Beklagten nicht fest.
Die Klage war daher bereits aus diesem Grunde abzuweisen.
Ich persönlich habe allerdings keine Zweifel daran, dass die Entscheidung des Landgerichts entgegengesetzt ausgefallen wäre, wenn hier nicht die Zufälligkeit der Haussuchung „geholfen“ hätte. Ein bisschen überrascht auch, dass kein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben wurde. Die Entscheidung zeigt allerdings auch die - erfreulichen - Risiken, die für die Abmahnanwälte mit der tatsächlichen Klagererhebung bestehen.
Im Übrigen scheint mir der Zeitunterschied von 2 Sekunden für IP-Ermittlung und download-Beginn bedeutsam. 2 Sekunden sind bei der Zuordnung einer IP-Nummer eine kleine Ewigkeit.