Thilo Reimers Rechtsanwalt, Dipl. Volkswirt, Würzburg

Nochmal: Die sieben Leben des Herrn A.

Ich hatte an anderer Stelle über die sieben Leben des Herrn A. berichtet.

Kurz zusammengefasst:

Mein Mandant fiel aus dem 5. Stockwerk und überlebte ohne größere Verletzungen. Für den Arbeitgeber ein Ärgernis. Denn nur bei einem toten Arbeitnehmer wäre die Lohnfortzahlung entfallen, so dass er umgehend fristlos kündigte ( siehe nichts, was es nicht gibt oder die sieben Leben des Herrn A. - unter Arbeitsrecht). Natürlich wurde die Kündigung vom Arbeitsgericht kassiert.

Damit nicht genug. Nunmehr hat ihn die Versicherung ( Itzehoer ), die den Pkw versicherte, auf den Herr A. gefallen ist, verklagt. Man kann es kaum glauben, eine Zivilklage wegen Sachbeschädigung und Schadensersatz über € 10.000,--. Die Klage der Versicherung wurde jetzt im Ergebnis durch das Landgericht Würzburg ( AZ: 71 O 431/20 ) abgewiesen. Hierzu kurz zusammengefasst die Gründe:

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz zu. Zwar hat der Beklagte durch den Sturz aus dem Fenster das Eigentum des Versicherten verletzt. Tatsächlich besteht ein solcher Anspruch jedoch nicht, da die Verantwortlichkeit des Beklagten gem. § 827 S. 1 BGB zum Zeitpunkt des Geschehens ausgeschlossen war.

Gem. § 827 S. 1 BGB ist für einen Schaden nicht verantwortlich, wer in einem die freien Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit, einem anderen einen Schaden zugefügt hat. Hierbei muss, ebenso wie bei § 104 Nr. 2 BGB eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorliegen, die im fraglichen Moment zu einem Ausschluss der freien Willensbildung geführt hat... Das Gericht ist nach Beweisaufnahme, insbesondere nach den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen und der informatorischen Anhörung des Beklagten davon überzeugt, dass sich der Beklagte während des fraglichen Vorfalls in einem solchen Zustand befand... Die Sachverständige... geht davon aus, dass zum Vorfallszeitpunkt... ein Todesangst getriebener raptusartiger impulshafte Fluchthandlung bei Verfolgungsideen bestand. Sie geht daher, auch wenn die psychiatrische Diagnose allein noch keinen Rückschluss auf die fragliche Handlung zulässt, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einem Zustand mit Ausschluss der freien Willensbildung, aus. In der informatorischen Anhörung hat der Beklagte für das Gericht überzeugend angegeben, dass er in jener Nacht erhebliche Ängste gehabt habe und habe fliehen wollen, weshalb er den Weg über das Fenster gewählt habe. Die Lichtbilder des fraglichen Hauses zeigen, das sich schräg unter dem Fenster ein Balkon befindet, der freilich vom Fenster aus kaum zu erreichen ist. Diese Gefahr mag der Beklagte in seinem Zustand nicht gesehen haben.

Die Klägerseite hatte angeführt, dass der Beklagte den Türgriff seiner Zimmertür aus dem Fenster auf die Straße geworfen habe, wo er laut Polizei aufgefunden wurde. Dies habe der Beklagte getan, damit ihm niemand an seinen geplanten Suizid hindern könne. Dies kann jedoch auch einen anderen Hintergrund gehabt haben...

Eine Berücksichtigung aller fragliche Umstände führt dazu, dass das Gericht zu einem Zustand von § 827 S. 1 BGB zum Vorfallszeitpunkt überzeugt ist.

Es ist auch nicht ausnahmsweise gem. § 827 S. 2 BGB anzunehmen, dass der Beklagte sich selbst in einen fraglichen Zustand versetzt hat, was bei Cannabis-Konsum grundsätzlich in Betracht käme. Der Beklagte hat selbst angegeben, er habe im Vorfeld kein Cannabis konsumiert. Auch im Übrigen ergeben sich keine Hinweise auf einen Cannabis-Konsum.

Es bleibt lediglich die Tatsache, dass Cannabis in Form von Haschisch aufgefunden wurde, wodurch aber noch nicht zwingend auch auf den Konsum zu schließen ist.

Auch ein sonstiger Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten besteht nicht. Mangels vertraglicher oder vertragsähnlicher Beziehungen zwischen den Parteien kämen allenfalls weitere deliktische Ansprüche in Betracht, die jedoch sämtlich gem. § 827 BGB ausgeschlossen sind.

Die Itzehoer argumentierte, dass mein Mandant Suizid begehen wollte. Dies sah die Autoversicherung als schuldhaftes Handeln an. Ich meine, darüber kann man sicher trefflich streiten.

Im Ergebnis ging das Gericht nicht auf meine Argumentation ein, dass auch bei einem geplanten Suizid von einem Ausschluss nach § 827 BGB auszugehen ist, da die Tatsache eines Suizids durch einen jungen gesunden Menschen nahelegt, dass er sich in einem die Schuld ausschließenden Zustand befand. (Schließlich dürfte der Protagonist Adrian in Julian Barnes „vom Ende der Geschichte“ eher die Ausnahme sein.)

Ob tatsächlich ein Cannabis-Konsum zu einem Verschulden geführt hätte, blieb hier letztendlich offen. Da im Zimmer meines Mandanten Haschisch gefunden wurde, schloss der gegnerische Kollege messerscharf, dass die Einnahme von Haschisch den Suizid ausgelöst hätte. Eine recht mutige Annahme, wie ich finde.

Ich halte es für sehr fragwürdig, davon auszugehen, dass Cannabis automatisch zu Suiziden führt, denn das würde sich mindestens Mal in den amtlichen Todesstatistiken bemerkbar machen.

Rechtsanwalt
Reimers